Das neue Raaw Jibb V2 im Test
Das neue Raaw Jibb V2 bringt einige aufregende Updates und Verbesserungen mit, die das Bike besonders für aggressive Trail- und Enduro-Fahrer attraktiv machen. Ob das Bike im Bikepark abliefern kann und trotzdem auf Hometrails mit leichteren Trailbikes mithalten kann? Wir haben es getestet.

Lebhaft, aktiv und furchtlos. All das sind Attribute eines Jack Russell Terriers, das Tier, dessen Emblem auf dem Oberrohr des Raaw Jibb abgebildet ist. Aber wie stimmig ist der Vergleich? Mit 150 mm bzw. 130 mm Federweg im Heck ist der Federweg für Gravity-Fans eher knapp bemessen. Hier stimmt der Vergleich zur Tierwelt schon mal. Denn ein Terrier lebt auf der Jagd von der Agilität, die ihm seine kurzen Beine geben. Die hervorstechenden Eigenschaften des Jibb V2 passen gut zum Bild des Jack Russell Terriers:
- Verspieltes Handling: Das Raaw Jibb V2 ist so konstruiert, dass es auf engen, technischen Trails besonders wendig ist. Zum einen ist die Geometrie zwar modern, fällt aber nicht zu extrem (flach) aus. Zum anderen versinkt man bei einem aktiven Fahrstil nicht im kurzen Federweg.
- Spaß und Dynamik im Vordergrund: Mit einer progressiven Hinterbaukinematik, die auf ein verspieltes, "jibbing"-orientiertes Fahrverhalten ausgelegt ist, lädt das Bike förmlich dazu ein, über kleine Hindernisse zu springen, Kurven spielerisch zu nehmen und das Terrain kreativ zu nutzen.
- Klare Linie im Design und kein unnötiger Schnickschnack: Die stabile Rahmenkonstruktion und die gezielte Materialwahl verleihen ihm die nötige Stärke, auch wenn das Terrain härter wird. Zudem wurde penibel darauf geachtet, den Serviceaufwand so gering wie möglich zu halten.
Die Kombination dieser Merkmale treibt das Gewicht des Raaw Jibbs auf deutlich über 15 Kilo. Da stellt sich natürlich die Frage: Macht das Sinn für ein Bike mit 150 mm Federweg an der Gabel und 130 mm im Heck?

2 Umlenkwippen machen den Hinterbau anpassbar
Der Werkstoff Aluminium gehört bei Raaw zur Firmenphilosophie. Und daran rüttelt auch das Jibb der zweiten Generation nicht. Das Design hat sich im Vergleich zum Vorgänger wenig geändert. Trotzdem gibt es einige spannende Neuerungen.
Zum einen gibt es jetzt, wie beim Enduro Bike von Raaw – der Madonna – schon länger, zwei verschiedene Umlenkwippen für optimale Hinterbau-Funktion je nach Körpergewicht. Das Jibb V2 ist für zwei Rocker-Links ausgelegt: Rocker 50 und Rocker 55. Beide bieten 130 mm Federweg mit etwa 20 % Progression.
Der Rocker 50 funktioniert mit einem 50 mm Hub Dämpfer und hat ein höheres Übersetzungsverhältnis. Das macht ihn ideal für Fahrer bis 90 kg. Der Rocker 55 arbeitet mit einem 55 mm Hub Dämpfer und hat ein niedrigeres Übersetzungsverhältnis. Damit eignet er sich besser für Fahrer über 90 kg. Diese Option kann direkt beim Kauf ausgewählt werden.

Mehr Federweg & viele Optionen möglich
Außerdem bieten die zwei Rocker eine weitere spannende Option. Man kann das Rad durch die Kombination aus Rocker 50-Umlenkwippe und einem Dämpfer mit 55 mm Hub auch als Long-Travel-Variante mit 141 mm Federweg am Heck fahren. Laut Raaw passt diese Konfiguration perfekt zu einer 160mm Gabel, womit man sich schon fast eine „Mini-Madonna“ bauen kann.
Mit dem neuen Toolbox-System lassen sich die Tretlagerhöhe und die Progression des 130mm Hinterbaus anpassen. Hierfür ist aber eine separat erhältliche Dämpferaufnahme nötig, die in etlichen Varianten zu haben ist. Die Standardeinstellung ist die Empfehlung von Raaw und in dieser haben wir das Bike auch getestet.
Für den einen oder anderen ist mit Sicherheit auch die Möglichkeit des Umbaus auf ein Mullet Setup interessant. Somit gibt es unzählige Verstellmöglichkeiten, um das Rad so gut wie möglich an seine eigenen Bedürfnisse anzupassen.


Geometrie
Das Jibb V2 ist in fünf Größen von S bis XXL verfügbar und somit wird es für fast jeden die richtige Rahmengröße geben. Im Vergleich zur Madonna, dem Bike von Raaw mit mehr Federweg, sind die Rahmen etwas kürzer, damit sich die Bikes wendiger anfühlen. Wir hatten ein Testbike in Größe L, das uns bei 1,80 m bzw. 1,78 m perfekt gepasst hat.
Das Jibb gibt es außerdem mit zwei verschiedenen Sitzstrebenversionen. Einmal den Raaw Seatstay und einmal die UDH Version.
Mit dem Raaw Seatstay lässt sich optional die Kettenstrebe verlängern/verkürzen. Hierfür ist aber ein extra Steckachsen-Kit zu kaufen. Diese Option fällt mit der UDH-Sitzstrebe leider weg. Dafür kann man an die UDH-Sitzstrebe auch Srams neueste Transmission Schaltung verbauen. Hier ist es nur möglich, in der mittigen Stellung zu fahren.
(Geometrietabelle)

15,5 Kilo - das Jibb ist kein Leichtgewicht
Das Jibb ist mit über 15,5 kg alles andere als ein Leichtgewicht. Denn ohne Pedale ist das Bike 1-2 Kilo schwerer als z.B. Carbonbikes in dieser Federwegs- und Preisklasse. Seinen Beitrag dazu liefert der Rahmen, der mit fast 4 Kilo sehr schwer ausfällt.
Raaw verfolgt mit seinen Rahmen eine andere Philosophie als den absoluten Leichtbau. Auch im Hardcore-Einsatz sollen die Bikes aus Ruben Torbecks Hand wenig Pflege benötigen. Und genau diesen Eindruck haben wir auch bekommen, denn der Alurahmen macht einen sehr hochwertigen Eindruck und hat auch kein Problem damit, im Bikepark mal richtig rangenommen zu werden.
Zurück zur Frage, ob das Gewicht eine Rolle spielt. Die Frage muss man sich wohl selbst stellen, denn es kommt sehr auf den persönlichen Fahrstil und die Vorlieben an. Beispielsweise ist das Specialized Stumpjumper mit 13,4 kg gute 2 kg leichter, und das spürt man definitiv auf langen Touren.
Will man ein Rennpferd auf den Hometrails, das dafür an härteren Tagen stärker leiden muss? Oder setzt man doch auf einen soliden Alurahmen, der auf flacheren Trails etwas mehr Input vom Fahrer braucht, aber auch z.B. verblockte Trails in San Remo abkann? Zweiteres bekommt man beim Raaw Jibb V2.


Wartung und Haltbarkeit
Dank der externen Kabelführung ist das Jibb V2 leicht selbst zu warten und zu reparieren. Die außen verlaufenden Kabel sind jederzeit gut zugänglich, was das Austauschen einzelner Komponenten deutlich vereinfacht. Für Biker, die ihr Rad gern selbst instand halten, ist das ein Riesen-Vorteil, auch wenn so mancher in diesem Punkt wegen der Optik jammert.
Zusätzlich tragen die doppelt gedichteten Lager erheblich zur Langlebigkeit des Bikes bei. Diese Lager sind so konzipiert, dass sie Schmutz und Feuchtigkeit effektiv abwehren und dadurch seltener gereinigt oder ausgetauscht werden müssen. Selbst bei minimalem Pflegeaufwand bleibt das Jibb V2 somit zuverlässig und belastbar – perfekt für Fahrer, die ihr Bike in unterschiedlichsten Bedingungen einsetzen. Mit diesem Ansatz hat die kleine Firma Raaw auch die Entwicklung von deutlich größeren Firmen wie Canyon längst geprägt. Details wurden mittlerweile übernommen. Das komplett stringente Paket bekommt man aber nach wie vor nur bei Raaw.

Fahrverhalten bergauf
Das Jibb ist nicht als reinrassiges Uphill-Bike konzipiert, zeigt aber eine solide Leistung bergauf. Der steile Sitzwinkel sorgt dafür, dass der Fahrer aufrecht und zentral über dem Tretlager sitzt. So findet die Kraftübertragung effizient statt. Außerdem hat man auch bei steileren Anstiegen eine gute Kontrolle über das Bike.
Im Vergleich zu einem Specialized Stumpjumper wirkt das Jibb bergauf etwas träge, da es durch sein höheres Gewicht mehr Kraftaufwand benötigt und langsamer vorankommt. Zur Raaw Madonna hingegen bietet das Jibb ein deutlich angenehmeres und leichtgängigeres Fahrgefühl am Anstieg.
Der Hinterbau ist so konzipiert, dass er bei einem Sag-Wert von 30 % deutlich über 100 % Anti Squat hat. Das heißt, er arbeitet beim Pedalieren bergauf absolut antriebsneutral. Und das gilt für alle Gänge. Je schwerer man den Gang wählt, desto effizienter arbeitet das Heck. Wir haben sogar mit etwas mehr als 30 % Sag kein übermäßiges Wippen bergauf festgestellt.

Darauf kommt es an - Fahrverhalten bergab
Auf flachen Trails muss man die Kette des Jibb stets stramm halten, um das relativ schwere Bike immer wieder zu beschleunigen. Liefert man als Fahrer diesen Input, wird man mit Fahrspaß auch im leichten Gelände belohnt. Egal ob schnelle Kurven, kleinere Drops oder steinige Passagen – das Jibb bleibt kontrolliert und vermittelt ein direktes Fahrgefühl. Für Fahrer, die auf ihren Hometrails sowohl flowige als auch technische Abschnitte haben, ist das Jibb eine solide Wahl, die Spaß und Performance optimal kombiniert.
Wir waren mit dem Jibb aber auch in Bikeparks, wie dem Geißkopf, unterwegs. Hier spielt das Jibb seine Stärken vor allem auf den Jumplines aus. Die Enduro-Trails machen ebenfalls Spaß, verlangen aber nach einer sauberen Linienwahl. Dank seines etwas geringeren Federwegs im Vergleich zu einem klassischen Enduro bleibt es agil und verliert weniger Energie beim Pumpen durch Bodenwellen, was für ein dynamisches Fahrgefühl sorgt. Auf flacheren Trails wie dem Enduro 1 am Geißkopf kann das Jibb voll und ganz glänzen.
Durch den progressiven Hinterbau mit 130 mm Federweg muss man aber im Vergleich zu einem richtigen Enduro-Bike mit mehr Federweg das Rad schon etwas stärker festhalten, wenn es ordentlich zur Sache geht.
Auf reinrassigen Downhillstrecken kommt der knappe Federweg des Bikes deutlich zum Vorschein. Nach einem langen Tag im Bikepark spürt man zudem etwas mehr Armpump als auf einem voll ausgestatteten Enduro. Das Jibb ist kein Alleskönner, aber eine Spaßmaschine, solange das Gelände nicht brutal wird.


Ausstattungsvarianten und Rolling Chassis
Das Raaw Jibb gibt es als Rahmenset ab 2.790 € ohne Dämpfer zu kaufen. Außerdem gibt es die Möglichkeit, ein Rolling Chassis mit Fox oder Öhlins Fahrwerk für um die 5.000 € zu erwerben. Leider gibt es keine Möglichkeit, ein Komplettbike bei Raaw zusammenzustellen. So bleibt einem nur die Möglichkeit, sich sein Traumbike selbst aufzubauen.

Das Jibb ist ein durchdachtes Bike, das mit vielfältigen Einstellungsmöglichkeiten und hoher Verarbeitungsqualität begeistert. Bergab ist das Bike genial, solange das Gelände nicht zu verblockt wird. Bergauf muss man aufgrund des Gewichts etwas Bums in den Waden haben. Das Konzept mit wenig Federweg und robustem Rahmen macht besonders dann Sinn, wenn der Fokus auf Stabilität und Langlebigkeit statt auf Gewichtsersparnis liegt. Das Jibb ist kein klassisches All Mountain, sondern schielt mit seiner Ausrichtung deutlich mehr Richtung Abfahrtsspaß.