Das Magura Interview
Magura ist die traditionsreichste Firma in der deutschen Fahrrad-Branche. 130 Jahre nach der Gründung führt Fabian Auch, der Urenkel von Magura Gründer Gustav Magenwirth, die Geschicke der Firma. Im Interview verrät er uns, warum Magura seine Bremsen noch in Deutschland fertigt und warum er keine Zeit zum Motorradfahren hat.
Die Lautsprecher geben ein erstes Krachen von sich und dann ist er auch am Bildschirm zu sehen. Fabian Auch sitzt mit T-Shirt und gepflegtem Bart in seinem Büro im gelben Haus. Die Webcam seines Rechners zeigt nicht nur ihn, sondern auch die Rückwand seines Büros. Neben einer historischen Magura Uhr hängt da ein signiertes Poster von Danny MacAskill und Fabio Wibmer. Mimik und Gestik lassen selbst über den Videochat die Einschätzung zu, dass die Stimmung in der Magura Zentrale gut ist. Optimale Voraussetzungen für unser Interview mit dem Chef der Magenwirth Gruppe also.
Ludwig Döhl: Herr Auch, lassen Sie uns gemeinsam virtuell ins Nachtleben abtauchen. Ich kenne weder Sie noch die Firma Magura und frage Sie bei einem Bier am Tresen: Was machen Sie eigentlich beruflich?
Fabian Auch: Kommt ganz darauf an, wo der Tresen steht. Hier in der Region ist Magura bekannt. Auch wenn viele denken, dass sie die Firma nicht kennen, haben sie zumindest schon mal von uns gehört. Ich bin da immer wieder erstaunt. Um es kurz zu machen: Am Tresen im Nachbarort würde ich sagen, dass ich bei Magura arbeite. Säßen wir in einer Kneipe in Hamburg, würde ich tendenziell eher sagen, dass ich einen mittelständischen Familienbetrieb führe, der Hochleistungskunststoff in einzigartiger Qualität in Deutschland verarbeitet.
LD: Ich hätte erwartet, dass sie den Joker ziehen und sagen: Ich leite die Geschicke von Magura. Wir haben den Mountainbike-Markt mit der Einführung der Scheibenbremse revolutioniert. Warum nicht so?
FA: Man kann die Sache nüchtern betrachten. Mit einer 130-jährigen Historie und den Meilensteinen, die wir erreicht haben, sind wir das älteste deutsche Unternehmen der Fahrradindustrie. Wir sind uns dessen nicht nur bewusst, sondern wir sind auch stolz darauf. Man muss aber auch ehrlich und realistisch bleiben. Unsere großen Meilensteine in der Entwicklung der Fahrrad-Technik liegen ein paar Jahre zurück. Die HS Bremsen wurden in den späten 80ern auf dem Markt eingeführt. Die erste Gustav M Scheibenbremse wurde 1996 verkauft. Ich finde, wir haben als Firma damals Bahnbrechendes geleistet. Aber würden Sie bei einem Bier am Tresen mit Ihrer Einschulung prahlen?
LD: Eher nicht.
FA: Sehen Sie, wir auch nicht. Das ist einfach verdammt lange her.
Wer ständig die Vergangenheit vor Augen hat, verpasst die Zukunft. Wir haben auch aktuell absolut innovative Produkte auf dem Markt. Unser ABS, das wir zusammen mit Bosch für E-Bikes entwickelt haben, ist eine dicke Nummer. Was uns heute wirklich einzigartig macht ist, dass wir solche Systeme nicht nur entwickeln, sondern auch hier vor Ort fertigen können.
Fabian Auch – Magura
Darauf sind wir stolz, und deshalb würde ich meinen Job auch so beschreiben.
LD: So gesehen ist es natürlich bitter, dass die großen Meilensteine wie die Einführung der Scheibenbremse im sportlichen Fahrradbereich bereits gefallen sind. Nüchtern betrachtet bleibt ja nicht mehr viel Luft, das Mountainbike nochmals so zu revolutionieren, wie das Magura in den 80er- und 90er-Jahren gemacht hat. Oder haben sie da andere Einblicke?
FA: Ich bin kein Entwickler. Aber selbst als Betriebswirt ist mir klar: Das System Scheibenbremse ist sehr ausgereift. Hier geht es eher um Evolution. Die Zeiten der Revolution sind vorbei. Wenn man allerdings den Blick über den Tellerrand wirft, dann sieht man zum Beispiel in der Automobilindustrie das Thema „brake by wire“. Also elektronisches Bremsen. Wir rühren da aktuell aber keine Marketingtrommel, weil unsere Voruntersuchungen schon auch die ein oder andere Hürde aufgezeigt haben.
LD: Ich würde auch keiner elektronischen Bremse vertrauen.
FA: Deshalb gibt es solche Systeme beim Auto auch nur redundant mit einem herkömmlichen System gekoppelt. Für ein Mountainbike wäre es aber ziemlich unattraktiv, plötzlich vier Bremsen verbauen zu müssen. Wie gesagt, aktuell ist das kein großes Thema im Bike-Bereich.
LD: Spannend ist aber natürlich, dass Sie als Geschäftsführer Einblicke in ganz viele Branchen haben. Sie bearbeiten das Fahrradfeld mit ihrer eigenen Marke, sind aber auch Zulieferer für die Motorrad- oder Automobilindustrie. Wo ist die Wiese am grünsten?
FA: Man muss ganz klar sagen: Im Automotive-Bereich läuft alles etwas strukturierter ab. Da gibt es erstaunlich korrekte Absatz- und Bedarfspläne. Auf der Schiene ist dort vieles besser planbar. Man muss aber auch die Kehrseite der Medaille sehen.
Bis wir den Vertrag mit einem Automobilzulieferer unterzeichnet haben, dass wir ein Teil für ihn produzieren, haben wir im Fahrradbereich das Produkt oft schon gefertigt und geliefert.
Fabian Auch – Magura
Das administrative Korsett aus Anforderungen und Regulatorik gibt es in der Fahrradbranche nicht. Man kann sich hier in der Bike-Branche einfach freier bewegen. Und ich würde mir wünschen, dass das auch so bleibt. Es wird nicht zu vermeiden sein, dass auch in der Fahrradwelt mehr Strukturen einziehen. Die Wiese der Automobilbranche hat sicherlich auch ein schönes Grün, aber sie sollte nicht die Zieldefinition der Fahrradbranche sein.
LD: Sind Sie selbst eigentlich eher Fahrrad- oder Motorradfahrer?
FA: Ich traue es mir fast nicht zu sagen, aber ich habe gar keinen Motorradführerschein. Fahrradfahren dagegen ist eine große Leidenschaft von mir. Deshalb hätte ich auch gar keine Zeit zum Motorradfahren.
LD: Magura ist ja dafür bekannt, die Freiheit der Bike-Branche auch in der Kommunikation nach außen gekonnt zu nutzen. Da wurden Bremsen mit Pin-up-Girls beworben oder es gab Anzeigen mit Motiven auf der Herrentoilette. Wie viel Lockerheit kann man sich heute noch erlauben?
FA: Ich denke, das ist ein Bereich, wo wir sogar Rolemodel für andere Branchen sind. Egal, ob in der Kommunikation nach außen oder beim Zusammenarbeiten betriebsintern. Ich denke, die angesprochenen Kampagnen würde man heute nicht mehr so umsetzen, aber die flachen Strukturen und das Miteinander auf Augenhöhe, das wir in der Fahrradbranche pflegen, ist sicherlich einzigartig. Das aktuelle Maß, das hier anliegt, schießt sicher nicht über das Ziel hinaus.
LD: Wechseln wir das Thema: Haben Sie schon mal durchgerechnet, was ein Carbotecture Bremshebel aus Asien kosten würde?
FA: Klar. Wir können uns ja nicht der Realität des globalen Marktes entziehen. Würden wir Bremsen wie jeder andere Wettbewerber bauen, könnten wir nicht in Deutschland produzieren. Aber durch unser Know-How in der Verarbeitung von Hochleistungskunststoff haben wir die einmalige Möglichkeit, uns vom Wettbewerb deutlich abzusetzen. Wir haben viel in die Forschung und Entwicklung investiert und unsere eigenen Standorte so aufgebaut, dass wir heute ganz stolz sagen können: Unseren Bremshebel kann niemand effizienter produzieren als wir hier auf der Schwäbischen Alb. Das, was wir hier machen, geht in Asien auch nicht günstiger.
LD: Wahrscheinlich ist es nur eine Frage der Zeit, bis es irgendwo günstiger wird?
FA: Es ist eine Frage von sehr viel Zeit und Energie.
Wir haben uns bewusst gegen den Trend entschieden, die Produktion ins Ausland zu verlagern. Um diese Entscheidung langfristig durchhalten zu können, waren wir gezwungen, viel Intelligenz in unsere Unternehmung zu packen, um mit möglichst schlanken Prozessen hier am Standort wettbewerbsfähig produzieren zu können.
Fabian Auch – Magura
Diese Kompetenzen und Ressourcen, so glaube ich zumindest, baut man nicht mal eben schnell auf. Wenn wir über den Tellerrand der Hochleistungskunststoffe hinausblicken, sieht das anders aus. Unsere Bremssättel für die MT-Scheibenbremsen werden beispielsweise von Magura Asia in Taichung hergestellt.
LD: Die Standortwahl läuft also pragmatisch ab?
FA: Ganz und gar nicht. Unser Ziel ist es, unser Unternehmen mit seinem Kern in Bad Urach global konkurrenzfähig aufzustellen. Wenn das in manchen Bereichen hier am Standort nicht möglich ist, darf man da aber auch nicht nur romantisch an die Sache rangehen. Wir fragen uns bei jedem Arbeitsschritt, ob es möglich ist, diesen wirtschaftlich in unseren Werken in Hülben oder Hengen abzubilden.
Wenn das nicht geht, hinterfragen wir, warum es nicht geht. Im Falle vom Bremshebel sind wir darauf gekommen, dass wir diesen aus Carbotecture fertigen müssen, um weiter in Deutschland produzieren zu können. Und das haben wir dann gemacht. Diese Sorgfalt bei so wichtigen Entscheidungen schulden wir auch unseren Mitarbeitern hier. Magura gibt es seit 130 Jahren in Bad Urach. Wir sind hier tief verwurzelt und wollen das auch bleiben.
LD: So gesehen steckt im Carbotecture Material ja noch viel Potenzial. Man könnte ja auch Schaltwerke oder Schalthebel aus diesem Werkstoff fertigen. Steht das auf der To-Do Liste?
FA: Der Werkstoff würde das hergeben, keine Frage. Mit dem Blick auf die neusten technischen Entwicklungen auf dem Markt, muss man aber auch sagen, dass man so eine Schalteinheit nicht mal schnell aus dem Boden stampft. Aktuell wollen wir diese Tür nicht aufmachen, auch weil wir in unseren Kernbereichen noch Potenzial sehen. Produkte wie unser ABS System oder das MCi-Cockpit machen klar, dass uns so schnell nicht langweilig wird. In den letzten 10 Jahren hat es auch kein Newcomer in diesem Bereich geschafft, sich zu etablieren.
Die Bremse ist nicht nur ein sicherheitsrelevantes Bauteil, sondern manchmal auch ein hochemotionales Thema unter Bikern. Hier treffen individuelle Vorlieben auf pure Bremskraft. Für viele Biker wird die Frage, wie ihr Bike produziert wird, immer wichtiger. Es geht oft nicht mehr nur darum, wie das Bike fährt, sondern auch darum, wo seine Einzelteile hergestellt wurden.
Sowohl beim Thema Bremskraft, als auch bei der Frage nach regionaler Produktion kann Magura punkten. Und deshalb findest du unter diesem Link alle Bikes, die ab Werk mit einer Magura Bremsanlage ausgestattet sind. Und natürlich haben wir denselben Service auch für E-Mountainbikes.