Merida Big.Nine im Test
Der Trend ist klar: Rose, Mondraker oder auch Orbea statteten ihre jüngst vorgestellten Racebikes mit 120 Millimeter Federweg an der Gabel aus. Trotzdem kommt das Merida Big.Nine Hardtail 2024 mit klassischen 100 Millimeter Federweg an der Gabel neu auf den Markt. Mit 9,4 Kilo zieht es den Gewichtsjoker. Reicht das, um zu begeistern?
Das neue Merida Big.Nine ist ein klassisches Racehardtail mit 100 Millimeter Federweg. Und in dem Rahmen zieht Merida das Big.Nine auf den aktuellsten Standard. Zeit ist es geworden. Der Vorgänger hatte bereits eine deutliche Staubschicht angesetzt. Vor allem die Geometrie war nicht mehr zeitgemäß. Und bei der Neuauflage legen die Entwickler den Finger genau in diese Wunde. Denn, neben Details wie der Zugführung durch den Steuersatz, der dritten Flaschenhalter-Position oder dem UDH Schaltauge repräsentiert die Geometrie des neuen Merida Big.Nines die größte Veränderung. Aber der Reihe nach.
Gewicht: Nur ein leichtes Racebike ist ein gutes Racebike
Merida ist einer der größten Rahmenproduzenten weltweit. Neben den eigenen Bikes produzieren die Taiwanesen auch im Auftrag für viele andere Firmen. Dass sie das Handwerk des Rahmenbaus perfekt beherrschen, ist kein Geheimnis. Mit einem Rahmengewicht von unter 900 Gramm trotz eingearbeiteter BSA Tretlagergewinde aus Aluminium demonstriert Merida Know-How in diesem Bereich. Zum Vergleich: Das Scott Scale RC brachte in unserem Test mit etwas leichterem Pressfit Tretlager Standard 933 Gramm auf die Waage. Roses PDQ Rahmen haben wir mit 1043 Gramm gewogen. Unser Testbike repräsentiert mit dem Kürzel 10K die Topversion der Big.Nine Serie und erreicht ein Komplettgewicht von 9,4 Kilo (ohne Pedale, Tubeless und in Größe M). Ein guter Wert, der auch Kompromisse fordert.
Was das neue Merida Big.Nine kann und was nicht
Merida kann Leichtbau. Das haben wir im letzten Absatz geklärt. Aber die Taiwanesen lassen auch bei den Standards nichts anbrennen. Das geschraubte BSA-Tretlager erfreut Mechaniker wegen seiner leichten Wartungsmöglichkeiten. Standards bei Hinterrad und Schaltauge sind auf dem neuesten Stand. Und mit der 30,9 Millimeter Sattelstütze hat man im Nachgang auch viele Optionen zum Nachrüsten einer Teleskopstütze. Ein verstecktes Minitool unter dem Sattel ist pfiffig, allerdings fehlt ihm der Kettennieter. Was uns aber mehr gestört hat, war, dass der Rahmen ohne Lenkanschlagsbegrenzer kommt. Vor allem bei den tief montierten Lenkern im Cross-Country-Bereich nimmt der Rahmen bei einem Sturz schnell einen Schaden am Oberrohr.
- Rahmengewicht: Unter 900 Gramm
- Tretlager: BSA (geschraubt)
- Schaltauge: Sram UDH
- Sattelstütze: 30,9 mm (viele Optionen für absenkbare Sattelstützen)
- Zugverlegung: Integriert durch den Steuersatz
- Flaschenhalter: 3 Montagemöglichkeiten im Rahmen
- Besonderheiten: Minitool unterm Sattel, Directmount Bremsaufnahme am Hinterrad
- Das fehlt: Lenkanschlagsbegrenzer zum Rahmenschutz, Teleskopstütze
Die Geometrie wird deutlich moderner
Bei der Geometrie hat Merida nach dem Motto klotzen, nicht kleckern gehandelt. Denn im Vergleich zum Vorgänger wird der Lenkwinkel um 2 Grad flacher, der Reach wächst um 3 (in Worten DREI) Zentimeter und der Sitzwinkel wird mit 75,3 Grad deutlich steiler. Durch die massiv kürzere Sitzrohrlänge kann die Sattelstütze besser flexen. Vor allem kann man Teleskopstützen mit mehr Hub verbauen. Unser Vergleichstool legt die Unterschiede zum Vorgänger ganz klar dar. So wird deutlich, dass die neue Auflage mit der alten nur noch wenig gemein hat. Man kann dem Produktmanager zu der Entscheidung, die Geometrie radikal zu ändern, nur gratulieren. Denn der Fortschritt in diesem Bereich wird auch auf dem Trail spürbar.
Minimalistischer Fahrspaß im Gelände
Die sportliche Sitzposition passt zum Einsatzbereich des Racehardtails perfekt. Der Tritt in die Pedale könnte nicht effizienter ausfallen. Und auch das ausgewogene, nicht zu laufruhige Handling wissen Racer zu schätzen. Denn auf so mancher Rennstrecke gibt es enge Schikanen, die es zu überwinden gilt. Die Geometrie gibt auch im Praxistest keinen Anlass zur Kritik. Mit dem niedrigen Gesamtgewicht von 9,4 Kilo fällt der Antritt raketenmäßig aus. Die leichten Reynolds Carbonlaufräder leisten bei der Beschleunigung keinerlei Widerstand. Die Sram XX Eagle Transmission Schaltung wechselt die Gänge auch unter Volllast zuverlässig und smooth.
Die 2,4er-Reifen fallen wuchtig aus. Beim pedalieren im Sattel spendet vor allem der Hinterreifen viel Komfort. Und bergab sorgen sie dank des hohen Volumens für einen guten Grip, trotz minimalistischem Profil. Die Rock Shox SID SL Federgabel verrichtet ihren Job feinfühlig, kommt auf rauen Trails aber schnell ans Limit. Mit 100 Millimeter Federweg und der hohen Sattelstütze ist das klassische Racebike-Konzept im Gelände einfach begrenzt. Da kann die Geometrie noch so modern sein, die Bewegungsfreiheit ist mit dem hohen Sattel einfach deutlich eingeschränkt. Selbst Worldcup-Racer mit exzellenter Fahrtechnik gehen deshalb nicht mehr ohne Teleskopstütze an den Start.
Konzeptfrage: Sind 100 Millimeter Federweg und eine starre Stütze noch zeitgemäß?
Für viele Biker, die nicht rein auf den Wettkampfsport aus sind, ist das Konzept des Merida Big.Nine womöglich zu scharf. Der bedingungslose Leichtbau schränkt mit wenig Federweg und einer starren Stütze den Fahrspaß im Gelände ein. Unser Test vom Rose PDQ hat gezeigt, dass man mit minimalem Mehrgewicht ein Hardtail deutlich breiter aufstellen kann. Das Rose PDQ wiegt in der Topversion 600 Gramm mehr als das Merida Big.Nine und ist auch in etwas raueren Trails kein Spaßverderber. Mit exakt 10 Kilo Gesamtgewicht bleibt das PDQ auch eine Option für Racer.
Darf es auch die günstigere Version sein?
Wie bei all unseren Tests liefern wir nicht nur tiefgründige Einblicke in die Details. Im Gegensatz zu allen anderen Medien erlaubt es unser innovatives und absolut objektives Testsystem, euch Informationen zur kompletten Modellfamilie zu liefern. Und bei einem Preis von 9499 € ist es völlig klar, dass unser Testbike für einen sehr exklusiven Kundenkreis bestimmt ist. Die 3000€ Version mit Shimano XT-Ausstattung wiegt ebenfalls nur 10,2 Kilo und ist damit für viele mit Sicherheit die bessere Version. Der Blick auf die Details lohnt sich.
Hier haben wir übrigens eine komplette Kaufberatung für Racebikes.
Checke auch die günstigere Version des Merida Big.Nine
Fazit zum Merida Big.Nine
Innerhalb der Grenzen des klassischen Racehardtail-Konzepts mit 100 Millimeter Federweg und starrer Sattelstütze lässt das Merida Big.Nine keine Wünsche offen. Die gelungene Geometrie, die erstklassige Ausstattung und das Gesamtgewicht von 9,4 Kilo treffen bei Racern voll ins Schwarze. Der Preis für das Topmodell ist gesalzen. Die günstigere XT-Version dürfte aber viele ansprechen. Wer hauptsächlich Touren fahren will, sollte dennoch einen Blick auf moderne Hardtails mit 120er-Gabel mit Teleskopstütze werfen.
Ludwig Döhl – ride better bikes