Wie viel ist genug?
Wie viel Federweg macht an der Gabel eigentlich Sinn, wenn man mit starrem Heck durch den Wald fährt? Brauchen Trail-Hardtails 140 Millimeter Federweg oder ist ein Hardtail mit einer 120er-Gabel womöglich sogar die bessere Wahl? Wir haben den eins zu eins Check gemacht.
Es gibt zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten, die belegen, dass Fullys im Gelände effizienter sind. Durch die Federung im Heck hat der Hinterreifen deutlich mehr Kontakt zum Boden. Man kann so kontrolliert und schnell auch gröbere Trails fahren. Und man hat mehr Komfort als mit einem Hardtail. So viel zu den Vorteilen. Die Nachteile eines Fullys verschweigen die meisten Verkäufer:
- Preis: Fullys sind bei gleicher Ausstattung immer etwa 500 - 1000 € teurer.
- Gewicht: Bei gleichem Preis wiegt ein Hardtail ca. 1 bis 1,5 Kilo weniger als ein Fully.
- Wartungsaufwand: Gelenke und Dämpfer verlangen nach mehr Liebe in der Werkstatt.
Darum begeistern Mountainbike-Hardtails
Hardtails haben das natürlichste Fahrgefühl unter allen Mountainbikes. Mit dem starren Hinterbau spürt man jede Wurzel, über die man rollt. So ein Hardtail ist fast wie eine kleine Domina, die einen zur sauberen Fahrtechnik zwingt. Bei Fehlern schnalzt die Peitsche. Bei der richtigen Fahrtechnik zieht es einem die Mundwinkel nach oben. Wenn die komplette Energie des Fahrers in Vortrieb umgesetzt wird, ohne dass ein gewisser Anteil im Dämpfer zu verpuffen scheint, fühlt sich das herrlich an.
Kurzum, sowohl Fullys als auch Hardtails haben ihre Berechtigung. Welches Konzept für dich persönlich passt, hängt ganz maßgeblich davon ab, wie du gewisse Faktoren wie den Abfahrtsspaß oder Komfort für dich bewertest. Oder ganz einfach, welches Budget du zur Verfügung hast. Für weitere Tipps zu dieser Entscheidung kannst du in unserer Kaufberatung einen ganz großen Artikel zu diesem Thema nachlesen.
Mit der Entscheidung zwischen Fully oder Hardtail ist es aber noch lange nicht getan. Die Auswahl zwischen klassischen 100-Millimeter-Racebikes, modernen 120er Allround-Hardtails oder Trailhardtails mit 130 Millimeter Federweg oder mehr zwingt Hardtail-Fans zu einer weiteren Entscheidung.
100 Millimeter Federweg sind selbst für Hardtails zu wenig
100 Millimeter Federweg waren über Jahrzehnte der Standard bei Race-Hardtails. Aber 100-Millimeter-Race-Hardtails wie das Scott Scale, das Merida Big Nine oder auch das Cube Elite sind mittlerweile super spartanische Geräte für die Rennstrecke. Wir haben die Urväter aller Bikes, in einem separaten Artikel, mit modernen 120er Hardtails ausführlich verglichen. Das Ergebnis: Hardtails mit 100 Millimeter Federweg sind nur noch für eine ganz spitze Zielgruppe interessant.
Hardtails mit 120 mm Federweg und mit Teleskopstütze wiegen bei ähnlichem Preis nur ca. 700 Gramm bis 1 Kilo mehr und sind deutlich geländegängiger. Um das herauszufinden, haben wir das Merida Big.Nine sowohl als 100-mm-Variante, wie auch als 120-mm-Variante back to back getestet.
Dabei ist uns aufgefallen, dass man den zusätzlichen Federweg zwar spürt, dass der im Vergleich zur Teleskopstütze aber nicht der Gamechanger ist. Aber was passiert, wenn man von 120 wie beim Focus Raven oder dem Rose PDQ auf 140 Millimeter Federweg geht? Sind Trailhardtails, wie das Rose Bonero oder das Orbea Laufey geil? Oder erstickt der Fahrspaß hier im Federweg?
120 oder 140 mm - Wie viel Federweg braucht ein Hardtail?
Um die Frage nach dem optimalen Federweg am Hardtail wirklich sauber zu klären, haben wir uns zwei absolut vergleichbare Bikes besorgt. Das neue Liteville H3 gibt es als 120er- oder 140er-Version und wir haben uns beide besorgt, um einen direkten und seriösen Systemvergleich zu machen.
Beide Bikes haben denselben Rahmen, aber eine unterschiedliche Ausstattung. Während die 120er-Version auf leicht profilierten Reifen rollt, hat die 140er-Trail-Version nicht nur deutlich gröbere Stollen, sondern auch Alu-Laufräder, dickere Standrohre an der Gabel und eine Vier-Kolben-Bremsanlage am Vorderrad. Das ganze Konzept ist also deutlich mehr auf Abfahrt ausgelegt, was in Anbetracht des zusätzlichen Federwegs auch wirklich Sinn macht. Dass das H3 in der Trailversion nur 900 Gramm schwerer als die 120er-Version ist, ist tatsächlich erstaunlich.
Das Rose Bonero für 2200 € brachte bei 140 mm Federweg 12,6 Kilo auf die Waage. Das Orbea Laufey für 2500 € wiegt 13,7 Kilo. Das ist wohl ein deutlich realistischeres Gewicht für ein Trailhardtail. Es gibt also einen Unterschied in Gewicht und Ausrichtung. Das ist klar, aber spürt man das auch auf dem Trail?
Unterschiede zwischen dem 120er und dem 140er Hardtail
Bauteil | 120er Hardtail | 140er Trail-Hardtail |
Reifen | Maxxis Recon Race | Maxxis Agressor |
Gabel | Fox 34 SC Factory | Fox 34 Performance Elite |
Bremsen | Magura MT8 Race | Shimano XT Trail |
Laufräder | Syntace Carbon | Syntace Alu |
Schaltung | Sram XO Eagle | Shimano XT |
Geometrie | 65 ° Lenkwinkel 466 mm Reach | 64 ° Lenkwinkel; 455 mm Reach |
Gewicht | 10,9 Kilo | 11,8 Kilo (+900 Gramm) |
Preis | 6999 € | 5499 € |
Wie fühlt sich der unterschiedliche Federweg im Sattel an?
Wenn man direkt zwischen den Bikes wechselt, merkt man sofort, dass man auf dem 140er Trailhardtail aufrechter sitzt. Dabei lastet deutlich weniger Druck auf den Handgelenken als beim 120er-Bike. Die ganze Front unter dem Lenker kommt etwas höher. Man muss sich das so vorstellen: Mit der längeren Gabel rotiert die ganze Geometrie des Bikes um die Hinterradachse zwei Zentimeter nach oben. Dadurch wird das Oberrohr, wenn man es waagrecht misst, kürzer, und der Stack steigt an. Die Vorspannung in der Oberschenkelmuskulatur sinkt mit der höheren Front und man kann minimal weniger effizient in die Pedale treten.
Auf dem 120er-Bike sitzt man etwas sportlicher. In Kombination mit dem geringeren Gewicht und den besser rollenden Reifen kommt kein Zweifel auf: Auf langen Touren oder bergauf ist das 120er-Bike ganz klar vorne.
Merkt man zwei Zentimeter mehr Federweg im Trail bergab?
Im Singletrail bergab dreht sich der Spieß um. Allerdings weniger, als man es vermuten würde. Man steht beim 140er-Bike aufrechter hinter dem Lenker und hat so etwas mehr Kontrolle. Der gewachsene Radstand, die giftigeren Bremsen und der zusätzliche Federweg geben einem bergab ein sichereres Fahrgefühl.
Aber: Auch das Trail-Hardtail bleibt ein Hardtail! Man kann damit nicht doppelt so schnell bergab fahren wie mit der 120er-Version. Irgendwann prasseln die Schläge am Hinterrad einfach so stark ein, dass es schwer wird, das Ganze unter Kontrolle zu halten. Die Trails, die man mit einem Trail-Hardtail runterfahren kann, sind letztendlich die gleichen, wie die mit einem 120er Hardtail.
Mehr Federweg verlangt nach einem Fully
Um das Potenzial der 140er-Gabel und der groben Reifen voll auszunutzen, bräuchte das Bike einen Dämpfer im Heck. Die Disbalance zwischen Front und Heck wächst mit 140 mm Federweg in einem Bereich, der sich nicht nur durch eine gute Fahrtechnik ausgleichen lässt. Mit dem 140er-Trailhardtail sind zweifelsohne auch größere Sprünge möglich. In der Landung ist dann aber ein deutlicher Stoß in den Fußgelenken und im Rücken zu vernehmen.
Auf gröberen Trails ist man mit mehr Federweg bei angepasstem Tempo sicherer unterwegs. Man kann den Gashahn aber nicht gedankenlos aufreißen und drauflos ballern. Eines wird während des Tests ganz klar: Je mehr Federweg man fahren will, desto mehr Sinn macht der Griff zum Fully.
Wie viel Federweg braucht ein Hardtail jetzt wirklich?
Hardtails mit 100 Millimeter Federweg haben meines Erachtens eigentlich nur noch zwei Berechtigungsgründe:
- Erstens: Sie sind gut für Racer, die Wochenende um Wochenende um das letzte Zehntel auf der Rennstrecke feilschen und dabei alle Register beim Material ziehen.
- Zweitens: Sie stellen natürlich den günstigsten Einstieg in den Sport dar. Wer nicht mehr als 1500 € ausgeben will, landet in den meisten Fällen beim 100-Millimeter-Hardtail und kann damit ins Erlebnis Mountainbike starten.
Wenn beides auf dich nicht zutrifft, dann solltest du dir kein klassisches 100 Millimeter Race-Hardtail mehr kaufen. Denn ein Hardtail mit 120er-Gabel und Teleskopstütze macht im Gelände einfach so viel mehr Spaß bei minimalem Mehrgewicht.
Bei der Frage nach dem Federweg am Hardtail ist aber mehr nicht zwingend besser. Denn mit einem starren Heck wird es schwer, das Potenzial zu heben, das die Gabel, Reifen und Bremsen von so einem Trail-Hardtail mit 140 mm Federweg haben. Hardtails mit 120er-Gabel und Teleskopstütze sind aktuell die beste Wahl für die allermeisten Biker.
Trailhardtails mit 140 mm Federweg haben ihre Berechtigung
Trailhardtails wie das H3 in der Trailbike-Ausstattung oder das Rose Bonero haben ihre absolute Berechtigung, wenn der Fahrspaß bergab an erster Stelle steht, das Budget aber nicht für ein Fully reicht. Wenn du gerne auf ganz ruppige Trails abbiegst, aktuell aber nur 2000-2500 € für ein Bike ausgeben kannst, sind Trailhardtails eine sehr gute Wahl. Denn sie sind leichter und vor allem hochwertiger ausgestattet als Fullys. Für trailsüchtige mit begrenztem Budget sind Trailhardtails the way to go. Wer dagegen mit längeren Touren liebäugelt, der ist in der Regel mit einem 120er Hardtail besser beraten.
Alle relevanten Modelle
Wie immer findet ihr bei uns alle aktuellen Modelle einheitlich bewertet:
Fazit zum Thema: Wie viel Federweg am Hardtail
Obwohl klassische Hardtails mit 100 Millimeter Federweg für immer weniger Biker die richtige Wahl darstellen, blüht das Hardtail-Genre jüngst förmlich auf. Denn mit den aktuellen Hardtails mit 120 Millimeter Federweg und Teleskopstütze gibt es Bikes, die einen ganz großen Kundenkreis ansprechen und glücklich machen. Trailhardtails mit 140 mm Federweg haben ihre Berechtigung für Biker, die den Abfahrtsspaß über alles stellen und ein geringes Budget haben. Für viele Menschen ist der üppige Federweg und die damit einhergehende abfahrtslastigere Ausstattung aber auch einfach Ballast auf Singletrail-Touren.