Getuntes Glück
Das Trek Procaliber 9.8 im Test
Das Procaliber ist weiß Gott kein Neuling auf dem Markt. Eine gute Geometrie, durchdachte Details und der Versuch, den Hinterbau mit mehr Komfort auszustatten, machen das Procaliber auch in seiner dritten Saison zu einem super spannenden Bike. Hält das Bike auf der Rennstrecke und dem Trail auch, was es verspricht?
Schon alleine der Gattungsbegriff „Racebike” macht klar: Das Konkurrenzumfeld, in dem sich das Trek Procaliber befindet, ist schnelllebig. Im Startblock geht es um Bestzeiten, Rahmensteifigkeiten und Gewichtsrekorde. Über zwei Jahrzehnte war ein hoher Quotient aus Rahmensteifigkeit und Rahmengewicht (STW-Wert) das oberste Entwicklungsziel bei neuen Racebikes.
Einschränkungen bei der Langlebigkeit, der Geländetauglichkeit und dem Komfort wurden als Kollateralschäden akzeptiert. Aber die jüngsten Entwicklungen zeigen eindeutig, dass es damit vorbei ist. Die schnellsten Biker der Welt fahren 120 Millimeter Federweg und Teleskopstützen. Und unsere letzten Tests vom Cannondale Scalpel HT oder Scott Scale RC machen klar, dass sich immer mehr trendbewusste Bike-Firmen ganz bewusst vom Kampf um das niedrigste Rahmengewicht verabschieden.
So gesehen war Trek bei der Präsentation des Procalibers 2020 seiner Zeit voraus. Denn das Isospeed System und geschickte Details am Rahmen legen offen, dass der Entwicklungsfokus in Wisconsin schon lange an einer anderen Stelle lag.
Das Trek Isospeed System - die Dämpfung des Procalibers
Mit dem hauseigenen Isospeed System rückte Trek den jahrelang vernachlässigten Komfort bei Racehardtails in den Mittelpunkt. Der Gedanke dahinter ist klar: Gerade Marathon-Fahrer sitzen oft stundenlang im Sattel und vernichten dabei Kilometer um Kilometer.
Kleine Unebenheiten vom Untergrund, wie sie zum Beispiel bei Schotterstraßen oder auch Waldwegen gegeben sind, ermüden über Dauer vor allem die Haltemuskulatur im Rumpf des Fahrers. Und die direkte Folge von Ermüdung ist die Verlangsamung. Und auch wenn Entschleunigung ein gesellschaftlicher Megatrend ist, bekommen Racer schon Angstzustände, wenn sie nur das Wort Verlangsamung lesen.
Um die angepeilte Zielgruppe nicht zu vergraulen, hat Trek den Knotenpunkt zwischen Sitzstreben, Oberrohr und Sitzrohr entkoppelt. Nun ist das Sitzrohr nur am Tretlager fest mit dem Rahmen verbunden. Oben, kurz unter der Sattelklemme, sitzt eine spezielle Verschraubung, die es dem Sitzrohr erlaubt, deutlich mehr nach hinten zu flexen. Um diesen Flex auch zuzulassen, ist das Sitzrohr im unteren Bereich des Rahmens flach, wie eine Blattfeder geformt. Soweit die Theorie.
Man darf sich den Effekt in der Praxis, der sich aus diesem Konstrukt ergibt, aber nicht bahnbrechend vorstellen. Zwar fährt sich das Trek in der Praxis tatsächlich angenehm komfortabel, aber das Isospeed System lässt dennoch nur Bewegungen im Millimeterbereich zu. Wer vom Fullyersatz träumt, ist hier fehl am Platz.
Und ein erheblicher Teil des Komforts ist außerdem auf die Kombination aus breiten Reifen und 30 Millimeter breiten Felgen zurückzuführen. Unsere Einschätzung: Das Isospeed System hat in etwa den gleichen Komfort-Effekt wie 0,1 bis 0,2 Bar weniger Luft in den Reifen. Für diejenigen, die ihre Pasta vor dem Marathonstart abwiegen, ist das eine Welt. Andere werden es vermutlich gar nicht wahrnehmen.
Rahmendetails und Style: Die Asse im Ärmel des Trek Procalibers
Mit deutlich über einem Kilo beim Rahmengewicht (um genau zu sein 1,4 Kilo in Größe L) ist das Procaliber kein Leichtgewicht. In der Version 9.8 bringt das Procaliber 10,2 Kilo auf die Waage. Ein guter, aber kein exzellenter Wert. Die wirklichen Asse holt Trek beim Thema Style und Details aus dem Ärmel.
Denn der super aufgeräumte Rahmen harmoniert in seiner schnörkellosen Erscheinung perfekt mit der Lenker-Vorbau-Einheit von Bontrager. Amerikanische Firmen hatten schon immer ein Händchen für besonders stylische Bikes. Das Procaliber ist der lebende Beweis für diese These.
Außerdem punktet der Rahmen mit wirklich pfiffigen Details. In puncto Servicefreundlichkeit und Langlebigkeit ist er vielen Konkurrenten überlegen. So verlaufen die Züge für Schaltung, Bremsen oder optional auch Teleskopstütze nicht einfach lose durch den Rahmen, sondern werden durch kleine Röhrchen komplett geführt. Vorteil Nummer 1 dabei: Es gibt keine klappernden Züge. Vorteil Nummer 2: Der Tausch der Züge gelingt kinderleicht und in kürzester Zeit.
Ebenfalls durchdacht ist der Steuersatz mit integriertem Lenkanschlagsbegrenzer. Vor allem bei Racebikes werden die Lenker oft sehr tief montiert. Im Falle eines Sturzes kann es passieren, dass Schalt oder Bremshebel das Oberrohr zerkratzen oder sogar zerstören. Wer schon mal mit offenen Augen ein Cross-Country Rennen angesehen hat, weiß, dass das kein theoretisches Gedankenkonstrukt, sondern fast schon an der Tagesordnung ist.
Ärgerlich, wenn ein unscheinbarer Sturz den kompletten Rahmen zerstört. Mit dem Knock-Block Steuersatz beugt Trek diesem Problem effizient vor, weil der Steuersatz einen Anschlag hat, bevor der Lenker den Rahmen berührt.Auch langfristig gedacht sind die vielen, formschlüssigen und robusten Gummischoner, mit denen der Rahmen ab Werk versehen ist.
Die schlackernde Kette oder am Unterrohr einprasselnde Steine können den Rahmen so nichts anhaben. Das eingearbeitete chain slap Blech an der Kettenstrebe macht klar: Hier kennt jemand die wahren Problemzonen von Bikes.
Die Schaltung - Ein Kind der Corona-Krise
Auch wenn die Corona-Krise lange vorbei ist, so sind ihre Auswirkungen immer noch zu spüren. Unser Testbike hatte zwar die im Spec-Sheet angegebene Shimano XT-1×12-Schaltung, kam aber etwas unvorhergesehen mit einer e*13 Kassette daher. Die Shimano XT-Kassette aus dem Produktdatenblatt war wohl nicht lieferbar.
Die Helix Plus Kassette hat mit einer Abstufung von 9 bis 50 Zähnen zwar eine herrliche Bandbreite von 556 %, hat aber auch ein Laster. Sie ist universell einsetzbar für SRAM und Shimano-Antriebe. Seit dem Einzug von 12-fach Antrieben sind die Komponenten wie Kette, Kettenblätter und auch Kassetten nicht mehr 100 % kompatibel. Der Grund: Beide Hersteller haben minimal unterschiedliche Ritzelabstände.
Ein Universalprodukt für beide Optionen muss also zwangsläufig in der Funktion irgendwo Abstriche machen. Und tatsächlich harmonierte die eigentlich zuverlässige Shimano Schaltung nie perfekt mit der Kassette des Zubehörherstellers. Nach dem Wechsel auf eine SRAM GX AXS Eagle Schaltwerk (und Trigger) funktionierte der gesamte Antriebsstrang eindeutig besser.
Damit wird klar, in welche Richtung die e*13 Kassette hin optimiert wurde. Es ist davon auszugehen, dass die meisten Bikes mit einer XT-Kassette ausgeliefert werden, weshalb wir den Punkt in unserem Test nicht zu hoch aufhängen wollen. Wichtiger für die Kaufentscheidung ist doch: Wie fährt sich das Bike auf dem Trail?
Das Trek Procaliber im Praxistest: Ein Trailliebhaber
Wie es sich für ein Racehardtail gehört, nimmt man auf dem Trek Procaliber eine sportliche Haltung ein. Der nicht zu steile Sitzwinkel lässt einen auch auf längeren Flachpassagen ordentlich in die Pedale treten. Ideal zum Kilometerfressen. Die gut rollenden Bontrager Reifen gefallen jedem, der sich gerne weit und schnell aus eigener Kraft fortbewegt.
Die leichten Carbon-Laufräder machen den Antritt angenehm leichtfüßig. So muss sich ein Racehardtail anfühlen. Bergab sorgen die XT-Stopper für eine hervorragende Verzögerung. Die meisten anderen Bikes in diesem Umfeld können sich da eine Scheibe abschneiden. Die wirkliche Begeisterung entfaltet sich aber erst, wenn man sich traut, den Finger von der Bremse zu nehmen.
Dann beginnen die gut funktionierende Fox Federgabel, die gelungene Geometrie und die voluminösen Reifen zu harmonieren. Auf flachen Trails verfällt man in einen wahren Geschwindigkeitsrausch. Im rauen Gelände schlägt sich das Procaliber immerhin wacker und vermittelt für ein Hardtail ein sicheres, souveränes Fahrgefühl.
Alle Standards am Trek Procaliber 2023
- Rahmengewicht: 1,4 kg (Carbon)
- Tretlager: Pressfit
- Laufradgröße: 29 Zoll
- Einbaumaß Hinterrad: 12×148
- Sattelstütze: 31,6 mm
- Leitungsführung: durch das Unterrohr mit innen verlegten Führungen
- Flaschenhalter: Platz für zwei Flaschen
- Besonderheit: Isospeed Dämpfung am Hinterbau
- Schaltauge: UDH (SRAM Eagle Transmisson kompatibel)
Die Konkurrenten des Procalibers im Startblock A
Racehardtails gibt es viele. Die spannendsten Vergleichspartner zum Procaliber sind mit Sicherheit das Scalpel HT von Cannondale und Orbeas Alma. Während das Scalpel mit einer spannenden Geometrie und Lefty Gabel daher kommt, punktet das Alma mit exzellenter Preis/Leistung und der Option auf eine Custom Lackierung.
Wer mehr Fully Feeling will, sollte sich das Specialized Epic World Cup oder Trek Supercaliber genauer ansehen.
Alle aktuellen Trek Procaliber Modelle auf einen Blick, inkl. Preise und Verfügbarkeiten:
Wie gewohnt liefern wir nicht nur tiefgründige Einblicke in die Details. Im Gegensatz zu allen anderen Medien erlaubt es unser innovatives und absolut objektives Testsystem euch Informationen zur kompletten Modellfamilie zu liefern. Hier könnt ihr euch zu dem richtigen Procaliber je nach eurem Budget informieren.
Die aktuellen 2023er-Modelle sind allesamt unveränderte Durchläufer aus dem Jahr 2022.
Hier haben wir übrigens eine komplette Kaufberatung für Racebikes.
Alle aktuellen Trek Procaliber Modelle im Überblick
Fazit zum Trek Procaliber 9.8
Absolut betrachtet ist das Trek Procaliber kein Leichtathlet. Mit 10,2 Kilo in Rahmengröße L liegt das Gewicht aber voll im grünen Bereich, vor allem wenn man den Blick auf das Preisschild von 4099 € wirft. Vergleichbare Bikes mit Carbonlaufrädern und ähnlichem Gewicht sind oft deutlich teurer.
Die wirklichen Vorzüge des Bikes liegen in den durchdachten Details des Rahmens. Eine bis zum Ende gedachte Zugführung, der Steuersatz mit integriertem Anschlag und ein üppiges Schonerpaket beweisen: Die Produktmanager bei Trek wissen, worauf es ankommt, wenn eine Beziehung zwischen Mensch und Material langfristig halten soll. Das Isospeed System zur Dämpfung des Hinterbaus funktioniert in einem gewissen Rahmen, ist aber kein Gamechanger oder gar Fully-Ersatz.
Zu gering ist der absolute Flex, den es zulässt. Gerade für Fans der Langstrecke bleibt es aber dennoch ein interessantes Gimmick. Im Singletrail liefert das Trek ab und begeistert mit einer souveränen Leistung. Der ganzheitliche Entwicklungsansatz machen das Trek Procaliber zu einem wirklich gelungenem Racehardtail, dass sich von der Masse der Bikes abhebt.
