Totgesagte leben länger
Liteville 303 im Test

Die Kultmarke Liteville hat eine harte Zeit hinter sich. Nach Lieferengpässen während der Corona-Zeit musste Bike Mastermind Jo Klieber die Firmen Liteville und Syntace an die Pierer Mobility Group verkaufen. Mit neuem Kapital und neuen Strukturen melden sich die Bayern jetzt zurück. Und wir checken, wie viel Liteville im brandneuen 303 Enduro Bike noch steckt.

Liteville 303 im Test
Liteville geht neue Wege und vereint die Flaggschiffe 301 und 601 in das Modell 303. Das Beste aus beiden Welten?

Bis zum Exzess durchentwickelte Mountainbikes aus Aluminium. Das war jahrzehntelang das Markenzeichen von Liteville Bikes. Nicht nur einmal hat die kleine Schmiede aus Bayern mit Tüftlertalent und Ingenieurskunst die größten Firmen der Branche technisch gesehen vorgeführt. 

5-fach konifizierte Rohrsätze, beste Stiffness-to-Weight-Werte, versteckte Ersatzschrauben für Schaltaugen oder stets adaptierbare Evolutionsstufen des Hinterbaus haben die Marke nicht nur geprägt, sondern ihr auch einen Platz im Herzen von Technik-Freaks gegeben. Doch die durch Corona verursachten Marktverwirrungen gingen Bike-Mastermind Jo Klieber die Puste aus.

Liteville 303 in Aktion in Finale Ligure
Tüftlertalent meets Ingenieurskunst – dafür steht Liteville und ist für viele Biker damit eine ganz besondere Marke.

Als kleine Firma litt Liteville ganz besonders unter den Lieferengpässen der Branche. Die Pierer Mobility Group kaufte die Marken Liteville und Syntace, um den wirtschaftlichen Kollaps zu vermeiden. Die Frage, die sich die Fans der Marke seitdem stellen: Lässt sich mit dem neuen Kapital vom Großinvestor das Herzblut erhalten, das Liteville Bikes immer besonders gemacht hat?

Liteville 303 auf dem Trail
Wie schlägt sich das Liteville auf dem Trail? Die Kernessenz des Bikes ist seine Leichtfüßigkeit.
Bremsleitung Liteville 303
Typisch Liteville: Die Verlegung der Bremsleitung durch die Kettenstrebe mit vielen Bögen hoch zum Bremssattel.

Liteville 301 und 601 verschmelzen zum neuen 303

Immer mehr Fahrradmodelle geben Bikern immer mehr Optionen und verkomplizieren so die Kaufentscheidung. Während Marken wie Scott, Cube oder Canyon zuletzt ihre Modellpaletten mit extrem fein abgestuften Modellen mächtig aufgeblasen haben, entscheidet sich Liteville für den entgegengesetzten Weg.

Die Bayern verschmelzen ihre bisherigen Kultmodelle 301 und 601 zum neuen 303. Nach der Modellversion MK 15 wird es also kein 301 mehr aus Aluminium geben. Der bereits auf der Eurobike angekündigte Carbon-Nachfolger des 301 ist bisher noch nicht auf dem Markt erhältlich.

Das 303 hält aktuell als einziges Fully im Liteville-Portfolio die Stellung. Mit 160 Millimetern Federweg im Heck und wahlweise 170 oder 160 mm an der Front will der Neuling 303 in der MK1-Version als echtes Enduro wahrgenommen werden. Dabei folgt das Bike aber nicht bedingungslos dem Trend zu längeren und flacheren Geometrien, welche in diesem Marktsegment aktuell angesagt sind.

Liteville 303 in Action
Leichtfüßig und agil: Das Liteville 303 zeigt auf den Trails von Finale Ligure einen ganz klaren Charakter.
Liteville 301 Carbon
Bereits auf der Eurobike 2023 gezeigt, bis jetzt aber noch nicht erhältlich, das Liteville 301 Carbon wird von der Szene heiß erwartet.

Liteville meldet sich selbstbewusst vom Trendrausch ab

Der Trend im MTB-Enduro-Segment ist klar: Mehr Speed, mehr Federweg, längere Bikes, mehr Gewicht. Der Einfluss der Enduro World Series hat Enduro-Bikes in den letzten Jahren zu bedingungslosen Abfahrern gemacht. Das materialbedingte Speedlimit auf dem Trail hat sich so weit verschoben, dass es nur noch mit viel Mut und exzellenten Skills erreichbar ist. Doch die Downhill-Kur für den kompletten Markt kommt nicht zum Nulltarif.

Selbst in der teuersten Ausbaustufe (die im fünfstelligen Preisbereich liegt) bringen Bikes wie das Specialized Enduro oder das Santa Cruz Nomad deutlich über 15 Kilo auf die Waage. Wer nicht bereit ist, 10.000 € und mehr für ein neues Bike hinzublättern, wird sich mit Komplettgewichten um die 16 Kilo bei einem neuen Enduro anfreunden müssen. Der Weg zum Traileinstieg fällt damit alles andere als leicht aus.

Liteville geht weder den Trend mit, Bikes ohne Blick auf das Gewicht auszustatten, noch werden die Geometrien über die Maßen in die Länge gestreckt. So viel ist klar: Auch unter dem neuen Firmendach bewahrt sich Liteville sein Selbstbewusstsein und traut sich bewusst, anders zu sein als der Rest des Marktes.

Liteville 303 Cockpit
Aufgeräumt und stylisch, dennoch nicht jedermanns Geschmack: Das Cockpit des Liteville 303 mit interner Zugverlegung durch den Steuersatz.

Besonderheiten am Liteville 303

  • Gewicht: Das neue 303 wiegt unter 14 Kilogramm bei 160 mm Federweg. Ein sehr guter Wert!
  • 8 Pins Sattelstütze: Die im Rahmen integrierte Sattelstütze funktioniert voll mechanisch. Sie ist bis zum Rahmen komplett versenkbar und hat damit deutlich mehr Hub als herkömmliche Stützen.
  • Anpassbare Kettenstreben: Über ein zweites Loch in der Kettenstrebe ist der Hinterbau anpassbar auf ein 29er-Hinterrad. Oder man kann die Kettenstreben in den Rahmengrößen XL auch mit einem 27,5er-Hinterrad einfach mitwachsen lassen.
  • K.I.S.-Vorbereitung: Das Oberrohr ist vorbereitet für die externe Montage eines K.I.S. Systems, welches ab Werk aktuell aber nicht ausgeliefert wird.
  • Zugverlegung: Die wenigen Leitungen, die bei einer elektronischen Schaltung noch übrig bleiben, werden durch den Steuersatz verlegt.
Dämpfer und Wippe Liteville 303
Die markante, für Liteville typische Wippe sticht beim Blick auf den Rahmen heraus. Leider passt unter diesen Dämpfer keine Trinkflasche mehr.
Liteville 303 Lenkanschlagsbegrenzer
Der Lenkanschlagsbegrenzer am Unterrohr hat unseren Test nicht überlebt.

Yeah: 160 mm Federweg und unter 14 kg Gesamtgewicht!

Während das Liteville 303 in der Limited Ausstattung für 8000 € an der Waage baumelt, verfällt man nahezu in Nostalgie. Denn mit einem Komplettgewicht von 13,99 Kilo (Größe L ohne Pedale) erinnert das Bike an die Zeiten, in denen Enduro Bikes noch als Alleskönner bezeichnet wurden.

Mit knapp über 3300 Gramm (ohne Dämpfer) bietet der Rahmen aus Aluminium auf der Waage auch dem einen oder anderen Carbon-Chassis die Stirn. Zum Vergleich: Ein aktueller Santa Cruz Nomad Rahmen in der CC Carbon Version bringt 3080 Gramm auf die Waage. Die Leistung der Liteville Ingenieure ist erstaunlich, auch wenn der Rahmen im Vergleich zur letzten Version des 301 aus Alu ca. 300 Gramm schwerer geworden ist.

Liteville 303 meldet sich zurück
Was kann das neue Liteville 303 und werden die Tüftler aus Bayern ihrem Ruf wieder gerecht?

Ausstattung drückt Gewicht nach unten

Die in der Limited Edition verbauten Syntace Carbon-Laufräder, SRAM AXS Schaltung (nicht Transmission) und die Magura-Bremsen sparen zudem Gewicht im Vergleich zu anderen Komponenten, ohne dass man auf dem Trail spürbar auf Performance verzichten müsste.

Während die 170er Versionen des 303 mit einer dicken ZEB-Gabel von RockShox oder einer 38er Fork über den Trail rollen, spart die in der Limited verbauten 36er-Gabel mit 160 mm Federweg zudem Gewicht.

Carbon Laufräder des Liteville 303
Die Syntace Carbon Laufräder überzeugen nicht nur mit ihrer spürbaren Gewichtsersparnis, sondern auch mit ihrer beeindruckenden Steifigkeit, die für eine präzise und reaktionsschnelle Fahrperformance sorgt.

Der finale Trick beim Leichtbau liegt in der Laufradkombi. Denn das kleine 27,5 Zoll Hinterrad bringt aufgrund seiner Größe bauartbedingt weniger Gramm auf die Waage als ein 29er-Hinterrad. Die Kombination aus all diesen Faktoren ermöglicht das sensationell gute Gewicht und gibt dem Bike nicht nur bergauf einen klaren Charakterzug.

Das 303 ist nicht nur kletterstark

Das niedrige Gewicht nimmt langen Anstiegen oder Touren im alpinen Gelände den Schrecken. Im Vergleich zu einem Bike wie dem Canyon Spectral, das über 1,5 Kilo mehr wiegt, erklimmt das Liteville Anstiege deutlich leichter. Und das, obwohl beide Bikes denselben Federweg an der Gabel und eine vergleichbare Bereifung haben.

Liteville 303 Test
Das Bike ist kein schwerfälliger Enduro-Bolide, der dem Biker im Uphill alles abverlangt. Es besinnt sich auf die Alleskönner-Gene, die Enduros einst hatten.
Bremsen des Liteville 303
Die Magura Bremsen am Liteville 303 erfüllen nicht nur ihren Zweck. Sie werden mit 4 Kolben ihrem Ruf als Wurfanker auch am Liteville gerecht und sind zudem noch besonders leicht.

Wer die Qualität einer Bike-Tour nicht nur an der Adrenalinausschüttung auf dem Trail misst, sondern sich seine Höhenmeter gerne selbst erarbeitet, wird die Ausrichtung des Liteville 303 Limited lieben. Es ist eines der wenigen Enduros, das sich bergauf keine Blöße gibt. Und auch bergab ist das niedrige Gewicht ein Trumpf im Ärmel des 303.

Denn der leichte Laufradsatz mit 4770 Gramm (inklusive Reifen, Bremsscheiben und Kassette) beschleunigt nicht nur mit wenig Kraftaufwand. Aufgrund des niedrigen Gewichts und des kleinen Hinterrads hat man auch das Gefühl, dass das Handling des Bikes super direkt ausfällt.

Liteville 303 Wippe
Die am Oberrohr befestigte Wippe ist ein Markenzeichen von Liteville und hat es natürlich auch ins neue 303 geschafft.

Handling: Direkter geht es nicht

Bei schweren Bikes kleben die Laufräder oft träge am Boden. Ein spontaner Bunny Hop oder eine Richtungsänderung gehen nur dann locker vonstattten, wenn man mit dem Bike ein gewisses Grundtempo hat. Bei gemäßigter Fahrt fühlen sich schwere Bikes oft träge im Handling an. Beim 303 ist das Gegenteil der Fall.

Liteville 303 in Finale Ligure
Schneller geht immer: Das Liteville ist kein modernes Race-Enduro, sondern ein Allrounder.

Hier mündet jeder noch so kleine Input vom Fahrer direkt in ein Fahrmanöver auf dem Trail. Fast schon spielerisch lässt sich das Vorderrad hochreißen oder eine enge Kurve kratzen.

Wenn spaßige Fahrmanöver so wenig Aufwand erfordern wie beim 303, kommt man an jeder Ecke in die Versuchung, mit dem Gelände zu spielen. Der nicht zu flache Lenkwinkel von ca. 65 Grad kommt dem Spieltrieb des Bikes dabei voll entgegen. Der tendenziell soft abgestimmte Hinterbau sorgt für einen fehlerverzeihenden, gutmütigen Charakter auf dem Trail.

Liteville 303 Kettenstrebe
Durch das zweite Loch für die Horst-Link-Lagerung in der Kettenstrebe lässt sich der Hinterbau auf ein 29er-Laufrad anpassen. Ab Werk kommt das Liteville 303 im Mullet-Setup.

Im Downhill: Es gibt Bikes, die schneller sind

Die Lobeshymnen auf das niedrige Gewicht und das direkte Handling des Bikes kommen natürlich nicht ohne Nebenwirkungen. Sowohl die Geometrie als auch das komfortorientierte Fahrwerk, kommen bei Renntempo etwas schneller ans Limit als z. B. das Canyon Spectral. Enduro-Racer würden sich vom Fahrwerk womöglich mehr Gegendruck wünschen und auch einen Hauch mehr Laufruhe bei hohem Tempo. 

Letzteres lässt sich durch das Verbauen eines 29er-Hinterrades mit Sicherheit beeinflussen. Der Rahmen gibt die Option dazu. Allerdings muss man ganz klar sagen: Wer ein Bike mit einem Vollgas-Baller-Charakter und 160 mm Federweg sucht, findet auf dem Markt nicht nur eine Option. Bikes von Commencal oder Crossworx können diesen Wunsch erfüllen. 

Einen kletterwilligen Allrounder mit lieblichem Handling und schicken Details findet man dagegen so schnell kein zweites Mal.

8 Pins Teleskopstütze
Die 8-Pins-Teleskopstütze versenkt den Sattel komplett bis zum Rahmen. Mehr Hub geht nicht.
8-Pins Sattelstütze
Die Sattelstütze wird nicht oben am Sattelrohr geklemmt, sondern ist im Rahmen integriert und wird mit einem Bolzen knapp über dem Tretlager am Sattelrohr fixiert.

Details, die Nerven kosten

Die integrierte Teleskopstütze von 8Pins funktioniert wirklich tadellos und spendiert dem Bike den maximalen Hub. Aber das 303 hat auch seine kleinen Wunden.

Die Kette schlägt teilweise laut an der Kettenstrebe und hat diese schon nach wenigen Trailkilometern auch sichtlich in Mitleidenschaft gezogen. Besseres Abkleben kann hier Abhilfe schaffen, sollte bei dem Preis jedoch ein Service ab Werk sein.

Die Flaschenhalterösen im Unterrohr erfüllen mehr oder weniger nur eine Alibifunktion. Denn selbst in der Größe L ist wegen dem tief gezogenen Oberrohr kein Platz im Rahmen, um eine normale Flasche zu montieren.

Und der klobige Lenkanschlagsbegrenzer aus Kunststoff ist abgebrochen, als das Bike zum ersten Mal umgefallen ist. Alles in allem Kritik, die sich teilweise schnell beheben lässt. Bei einem Bike dieser Preisklasse aber nicht auftreten sollte. 

Kritik am Liteville 303

  • Kein Platz für eine Trinkflasche
  • Kettenstrebe ab Werk schlecht abgeklebt.
  • Lenkanschlagsbegrenzer aus Kunststoff ist im Test abgebrochen.
Liteville 303
Das Liteville 303 überrascht als kletterfreudiges Enduro bei unserem Test in Finale Ligure.

Fazit zum Liteville 303 Test

Liteville hat auch unter neuer Firmenführung nicht verlernt, einzigartige Räder zu bauen. Das 303 MK1 ist in der Limited Edition eines der ganz wenigen Enduros, die beim Gewicht nicht über die Stränge schlagen.

Das super direkte Handling gefällt Fahrern, die gerne auf verwinkelten Trails unterwegs sind. Details wie die Option, zwischen den Laufradgrößen am Hinterrad zu wechseln, sind ein echter Mehrwert. Lästige Details wie zu wenig Platz für eine Trinkflasche sind in dieser Preisklasse allerdings nervig.

Alle Liteville 303 Modelle im Überblick

Wie gewohnt liefern wir nicht nur tiefgründige Einblicke in die Details eines Bikes, sondern auch Informationen zur kompletten Modellfamilie. Deshalb könnt ihr hier alle drei ab Werk verfügbaren Ausstattungen ansehen und mit jedem anderen Bike auf dem Markt vergleichen. Wer enttäuscht ist, dass dieses Bike kein neues K.I.S. System hat, für den haben wir hier ein Trostpflaster mit einem Testbericht vom Canyon Spectral mit K.I.S. System.

Über den Autor

Ludwig

... hat mehr als 100.000 Kilometer im Sattel von über 1000 unterschiedlichen Mountainbikes verbracht. Die Quintessenz aus vielen Stunden auf dem Trail: Mountainbikes sind geil, wenn sie zu den persönlichen Vorlieben passen! Mit dieser Erkenntnis hat er bike-test.com gegründet, um Bikern zu helfen, ein ganz persönliches Traumbike zu finden.

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