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Liteville H3 MK4 im Test

Der Markenname Liteville ist in der Bike-Szene zum Synonym für nüchternen Sachverstand geworden. Aber das neue Liteville H3 MK4 Aluminium Hardtail hat es geschafft, uns auf einer emotionalen Ebene zu berühren. Es ist eine Ode an die Mechanik und den Minimalismus.

Liteville H3 MK4
Das Liteville H3 MK4: Das Alu-Hardtail hat 120 mm Federweg und wiegt knapp unter 11 Kilo. Das Topmodell kostet 4999 €.

Fallen wir mit der Tür ins Haus: Wer 4999 € für ein Mountainbike ausgeben will, hat die Option auf schöne Fullys. Man kann sich mit dem Geld auch ein super leichtes Carbon Hardtail zulegen, das einen mit einem Gesamtgewicht von ca. 9 Kilo bergauf in Ekstase versetzt.

Hält man sich diese beiden Optionen vor Augen, drängt sich eine Frage förmlich auf: Warum sollte man sich für 4999 € ein 11 Kilo schweres Hardtail aus Aluminium kaufen? Das Liteville H3 ist weder Leichtbauwunder, noch eine Komfortcouch. Dennoch gibt es zahlreiche Gründe, warum dieses Hardtail nicht nur das Herz, sondern auch den Verstand von Bikern erobern kann.

Liteville H3 MK4 im Test
Kann das Hardtail neben der treuen Liteville-Fangemeinde auch neue Kunden ansprechen?
Rahmengewicht Liteville H3 MK4
Der Alu-Rahmen wiegt genau 1.800 Gramm.

Quick Facts zum Liteville H3 MK4

  • Modelle: 3 Stück ab 3.999 €
  • Preis: 4999 € (Topmodell Limited)
  • Gewicht: 10,94 Kilo (Topmodell)
  • Rahmengewicht: 1800 Gramm
  • Federweg: 120 mm
  • Rahmenmaterial: Aluminium
  • Besonderheit: 8 Pins Teleskopstütze
  • Tretlager: BSA (geschraubt)
Liteville H3 MK3 Test
Ist das Liteville H3 MK4 ein reines Konzeptbike?

Ist das Liteville H3 ein Konzeptbike?

Die Welt ist schnelllebig geworden. Die durchschnittliche Aufmerksamkeitsspanne eines Mitteleuropäers ist auf 8 Sekunden gesunken. Der Produktlebenszyklus eines Smartphones liegt bei unter 2 Jahren und täglich nervt einen dieser ach so smarte Begleiter mit irgendeinem Update.

Keinem gefällt diese Entwicklung und doch nimmt sie jeder hin. Also fast jeder. Denn mit dem Liteville H3 der 4. Generation (MK4) setzt Bike Mastermind und ehemaliger Liteville-Inhaber Jo Klieber ein Statement gegen den modernen Konsumwahnsinn.

Liteville H3 4. Generation
Mit dem Liteville H3 der 4. Generation will der Mastermind Jo Klieber ein Statement gegen den modernen Konsumwahnsinn setzen.
Liteville H3 auf dem Trail
Ein Trail-Hardtail wie das Liteville kommt mit 120 mm Federweg und soll im Downhill seine Stärken ausspielen. Geht die Rechnung auf?

Statt schneller Effekthascherei setzt das Liteville H3 auf nachhaltigen, vollkommen mechanischen und unverblümten Fahrspaß. Wenn man so will, ist dieses Bike der Gegenentwurf zu einer immer komplexer werdenden Welt. Die simple, aber hochwertige und vor allem durchdachte Technik wirkt wie eine Tür im Hamsterrad der Bike-Branche.

Man kauft sich dieses Bike nicht aufgrund seines Innovationsgrades oder seines Gewichts. Vielmehr will man mit einem Liteville H3 ein Statement setzen. Kann das Bike aus Tacherting diese hochgesteckten Erwartungen auch mit Fahrspaß auf dem Trail belohnen, oder ist es eine rein theoretische Projektionsfläche einer Traumwelt?

Liteville H3 Review
Das Liteville folgt weder einem Trend, noch versucht es, so viele Innovationen wie möglich in ein Gesamtpaket zu quetschen.

Wie leicht sind 11 Kilo?

Konzeptbike oder theoretische Projektionsfläche hin oder her. Auch das Liteville H3 muss in der realen Welt mit den Gesetzen der Physik zurechtkommen. Eine wichtige Kenngröße dabei bleibt das Gewicht. Eine verdammt wichtige Komponente, der wir einen extra Gewichtsreport gewidmet haben.

Mit 11 Kilo fällt das Liteville H3 absolut gesehen nicht superleicht, aber dennoch leicht aus. Der Blick auf die Carbonoptionen, die der Markt mit 120 mm Federweg bietet, gibt sich Liteville aber keine Blöße. Das Rose PDQ Hardtail ist auf Racing getrimmt und bringt bei einem Preis von 6499 € 10 Kilo auf die Waage.

Canyons Lux Trail CF 8 ist ein Carbonfully mit 120 mm Federweg und wiegt bei 4499 € glatte 12 Kilo. So gesehen ist das Liteville H3 gut dabei. Wer einen robusten Alurahmen, vernünftige Reifen und eine Teleskopstütze will, wird es nicht leichter als 11 Kilo bekommen.

Rose PDQ Gewicht
Zum Vergleich: Das Rose PDQ ist ein echter Racer und wiegt gerade mal 10 Kilo.
Canyon Lux Trail
Das Canyon Lux Trail punktet mit verhältnismäßig geringem Gewicht für ein Fully.
Bike Gewicht Rahmengewicht Federweg Preis
Liteville H3 10,94 kg 1803 Gramm 120 mm 4999 €
Focus Raven 9.8 11,5 kg 1415 Gramm 120 mm 3699 €
Rose PDQ 10,0 kg 1225 Gramm 120 mm 6999 €
Canyon Grand Canyon 13,25 kg 2150 Gramm 120 mm 1799 €
Orbea Laufey 13,75 kg - 140 mm 2499 €
Radon Jealous AL 11,32 kg - 100 mm 1999 €
Merida Big 9 9,4 kg unter 900 Gramm 100 mm 9999 €
Scott Scale RC 8,9 kg 933 Gramm 100 mm 13999 €
Focus Raven
Mit 120 mm Federweg und einem Preis von 3699 € spielt das Focus Raven in einer ähnlichen Kategorie wie das Liteville H3. Eine stimmige Alternative?
Radon Jealous AL vs. Canyon Grand Canyon
Ein Preisbereich – zwei verschiedene Konzepte. Radon geht mit seinem Jealous AL, das wir ebenfalls getestet haben, auf Sportlichkeit und Leichtbau. Canyon setzt mit dem Grand Canyon auf Vielseitigkeit und Trailspaß.
Orbea Laufey auf dem Trail
Das Orbea Laufey kommt mit 140 mm Federweg und einem Preis von 1.499 €.

Wir haben sogar das Komplettbike gestrippt und den Rahmen einzeln gewogen. Mit 1800 Gramm liefert er den Großteil des Mehrgewichts gegenüber dem Rose PDQ. Das Fahrgefühl ist aber vielmehr von der rotierenden Masse der Laufräder geprägt. Mit 4470 Gramm liegen diese inklusive Reifen, Kassette und Bremsscheiben auf dem Niveau von reinrassigen Racebikes und vermitteln so einen leichtfüßigen Antritt.

Akkus suck – Mechanik rules

Bei High-End-Mountainbikes kommt man um das Thema Elektronik kaum mehr herum. Sei es beim neuen Flight Attendant Fahrwerk von RockShox, der elektronischen Reverb AXS Sattelstütze oder den SRAM AXS Schaltungen. Die Elektronik ist im High-End-Bereich omnipräsent.

Elektronik am MTB
Mehr Elektronik = besser? Auf modernen MTBs macht sich immer mehr Elektronik breit, wie hier die SRAM Transmission Schaltung. Ein guter Trend?

Mit seiner mechanischen SRAM-Schaltung und der 8-Pins-Sattelstütze ist das Liteville H3 MK4 in der Limited Edition ein Segen für alle, die von rot blinkenden LED-Leuchten am Bike genervt sind. Ein Bowdenzug mag technisch gesehen nicht mehr ganz „state of the art“ sein, aber: Er ist simpel, er ist billig und man kann ihn ohne Elektroingenieur-Abschluss und Lötkolben ersetzen.

Mit der vollkommen mechanischen Ausstattung trifft Liteville ins Herz von Bikern, welche die Elektronik als überflüssige Verkomplizierung des Mountainbikes sehen. Und auf dem Trail lässt weder die Funktion der Sattelstütze noch die der Schaltung zu wünschen übrig. Beide Komponenten funktionieren sehr gut.

Liteville H3 MK4 Action
Kommt ohne komplizierten technischen Schnickschnack auf dem Trail aus: Das Liteville ist raw und ein puristisches Alu-Hardtail.

Die 8 Pins Sattelstütze – die Kirsche auf dem Sahnehäubchen?

Die im Rahmen integrierte 8 Pins Sattelstütze wird nicht nur mechanisch mit einem Bowdenzug angesteuert, sondern verriegelt auch mechanisch. Die 34,9 mm dicke Stange wirkt im Punkte Stabilität vertrauenerweckend, flext jedoch absolut nicht. Wobei sich der Komfort eines Bikes bei einem Bike mit 2,4 Zoll breiten Reifen auch nur zu einem vernachlässigbaren Prozentsatz aus dem Flex der Sattelstütze speist.

Dafür lässt sie sich werkzeuglos in der Höhe verstellen und vollkommen im Rahmen versenken. Der Hub wird also nicht durch die Stütze begrenzt, sondern durch die Sitzhöhe des Fahrers. Außerdem ist der Abschmiernippel, über den sich der Abstreifring unterhalb der Dichtung mit neuem Öl tränken lässt, ein echter Segen für eine langfristige Beziehung.

Beim seitlichen Spiel hätten wir uns aufgrund der mechanischen Verriegelung einen Vorteil gegenüber herkömmlichen Teleskopsattelstützen erhofft. Leider blieb es in diesem Punkt aber bei der Hoffnung. Im ausgefahrenen Zustand lässt sich die Sattelstütze ca. 1-1,5 mm von links nach rechts schwenken.

Liteville H3 MK4 Sattelstütze
Eine vollkommen versenkbare Sattelstütze mit mechanischem Bowdenzug kommt bei dem Liteville zum Einsatz und lässt sich für die Abfahrt vollständig im Rahmen versenken.

Schönheitsfehler: Klappernde Züge, nur eine Trinkflasche

Bei so viel Ästhetik und Stil sind den Ingenieuren aber dennoch Schönheitsfehler unterlaufen. Die Züge, die allesamt im Inneren des Rahmens verlaufen, lassen sich über die Klemmung am Rahmen-Ein- bzw. Ausgang nicht fixieren. Die Folge: Sie klappern auf dem Trail deutlich hörbar.

Ein No-Go für ein Bike dieser Preisklasse, das sich zum Glück mit Schaumstoffhüllen notdürftig beheben lässt. Schöner wären Zugfixierungen, wie sie Cannondale zuletzt auch am neuen Scalpel gezeigt hat. Hier sollte Liteville wirklich nachbessern.

Dass dem Bike ein zweiter Flaschenhalter fehlt, lässt sich dagegen weniger schnell beheben. Denn dort, wo dieser normalerweise sitzt, können beim H3 keine Ösen gesetzt werden. Denn im Inneren des Sitzrohrs muss Platz bleiben für die 8Pins-Sattelstütze. Behelfsmäßig könnte man über eine zweite Position an der Unterseite des Oberrohrs nachdenken. Platz wäre dort.

Liteville H3 Züge und Flaschenhalter
Viel Ästhetik und Stil, aber nicht ohne Kritikpunkte: Die Zugverlegung und eine mangelnde zweite Flaschenhalter-Vorrichtung lassen beim H3, sowohl in der 120er- (links) als auch in der 140er-Version (rechts), noch etwas Luft nach oben.

Wie schlägt sich das Bike auf dem Trail?

Der eigentliche Praxistest mit dem Liteville H3 beginnt in der Garage. Denn mit dem H3 fällt lästiges Akku-Checken und Fahrwerkstuning weg. Es reicht, den Luftdruck in den Reifen zu überprüfen und los geht es.

Der kurze Reach und das kurze Oberrohr machen die Sitzposition sehr aufrecht. Wie auch schon beim Focus Raven wird hier unweigerlich klar: Das H3 will kein Race-Hardtail sein. Vielmehr will man mit der komfortablen Sitzposition Touren- und Trailfahrer ansprechen. Aufgrund des guten Gewichts und der leichten Laufräder klettert das H3 dennoch deutlich besser als Fullys in dieser Preisklasse.

Liteville H3 im Downhill
Flacher Lenkwinkel und gutes Fahrgefühl: Das Liteville H3 überzeugte uns im Downhill.

Im Downhill überzeugt das Bike mit seinem flachen Lenkwinkel und dem vollkommen versenkbaren Sattel trotz überschaubarem Federweg für ein sicheres Fahrgefühl. Das tiefe Tretlager und die dicken Reifen befeuern dieses Gefühl zusätzlich.

Das Bike macht auf dem Trail deutlich mehr Spaß, als man von einem Hardtail erwarten würde. Wenn es richtig zur Sache geht, wird allerdings klar: Das H3 ist eben doch nur ein Hardtail.

Bei übermäßig hohem Tempo, extremen Trails oder großen Sprüngen sind starke Bandscheiben gefragt. Selbst mit der besten Fahrtechnik lässt sich der Dämpfer, der bei einem Fully das Heck ruhig stellt, irgendwann nicht mehr kompensieren. Wer Enduro Trails rocken will und gelegentlich im Bikepark unterwegs ist, wird mit dem H3 nicht glücklich. Wer den Fokus auf lange Touren mit hohem Trailanteil legt, wird das H3 dagegen lieben.

Crossworx Lite
Eine Alternative zum Liteville: Das Crossworx Lite ist ein Fully, das auch raueres Gelände nicht scheut und ebenfalls aus Alu gefertigt wird.

Fazit zum Liteville H3 MK4

Das Liteville H3 MK4 ist mehr als ein Alu-Hardtail. Es ist ein Statement gegen eine Welt, die Gefahr läuft, sich selbst zu überholen. Es demonstriert eindrucksvoll und mit unüblichen Lösungen, wie sorglos und simpel man 2024 Mountainbikes bauen kann.

Der robuste Rahmen wirkt, als sei er für die Ewigkeit gemacht. Die 120 mm Federweg, die dicken Reifen und die Teleskopstütze haben den ehemals schmalen Einsatzbereich von Hardtails mächtig aufgebohrt. Die Geometrie ist aktueller State of the Art. Das H3 ist auf das Nötigste reduziert und macht auf langen Touren dennoch mächtig Spaß. Jo Klieber, danke für dieses Bike!

Das Liteville H3 Lineup

Das Liteville H3 gibt es in 3 Ausstattungsvarianten von 3999 – 4999 Euro. Wir haben einen Blick auf alle Optionen geworfen. Mit dem Pfeil-Symbol Bikes direkt vergleichen, könnt ihr die einzelnen Modelle auch in den Vergleich mit jedem anderen Bike aus unserer großen Marktübersicht ziehen.

Über den Autor

Ludwig

... hat mehr als 100.000 Kilometer im Sattel von über 1000 unterschiedlichen Mountainbikes verbracht. Die Quintessenz aus vielen Stunden auf dem Trail: Mountainbikes sind geil, wenn sie zu den persönlichen Vorlieben passen! Mit dieser Erkenntnis hat er bike-test.com gegründet, um Bikern zu helfen, ein ganz persönliches Traumbike zu finden.

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